Während meines Aufenthaltes in Nepal im September 2015 bat sich uns neben der Erdbebenhilfe in Ikodul im Süden des Kathmandu Tals und unseren Projekten in Kathmandu, die Möglichkeit den Menschen in einer der zahlreichen Zeltstädte in der Stadt zu unterstützten. Der überwiegende Teil der Menschen, der bis heute in einer solchen Zeltstadt lebt, kommt aus Sindhupalchowk einem der 75 Distrikte in Nepal und der vom schweren Erdbeben im April 2015 am schwersten getroffene. Somit leben diese Menschen seit über einem Jahr in Zeltstädten unter sehr schlechten Bedingungen. Es ist schwer zu beurteilen wie viele dieser Zeltstädte es in Kathmandu gibt, jedoch wurde uns berichtet, dass es wenigstens fünf weitere in dieser Größenordnung mit bis zu 5000 Bewohnern gibt.
Unsere Freundin Arati kennt eine Krankenschwester in dem Camp in Boudha, die sich um die medizinische Versorgung der Menschen dort kümmert soweit ihre Möglichkeiten das hergeben. Wir besuchen sie, um mit ihr zu besprechen wie wir helfen können. Das Camp liegt wenige Minuten abseits der Hauptstraße, die durch Boudha nach Chabahil führt. Auf der Hauptstraße und den Seitengassen tobt das typische Nepali-Leben mit vielen Menschen und Fahrzeugen, vielen unterschiedlichen Gerüchen und einem lauten Geräuschpegel. Wenn man diese Straßen entlang geht, vergisst man einen Moment lang, was diesem Land schlimmes widerfahren ist. Es wirkt als wäre Normalität zurückgekehrt. Nun entfernen wir uns von der Hauptstraße und es wird immer ruhiger. Wir überqueren eine große Wiese und ich frage mich wo wir eigentlich hingehen. Plötzlich tut sich diese riesige Zeltstadt vor uns auf. Ich erstarre kurzzeitig bei diesem Anblick und begreife erneut, dass an diesem Ort noch lange keine Normalität eingekehrt ist. Je näher wir den Zelten kommen, desto deutlicher erkennen wir, dass die Menschen hier unter widrigen Bedingungen auf engstem Raum miteinander leben müssen. Gleichermaßen bin ich jedoch beeindruckt davon, dass das Camp recht gut organisiert zu sein scheint. Die Zelte wirken massiv, die hygienischen Zustände auf den ersten Blick besser als erwartet. Die Schwester kommt uns bereits entgegen und führt uns in das Zelt ihrer Familie. Spartanisch beschreibt nicht im Ansatz wie sie und ihre Familie hier leben. In aller Tristheit und Bescheidenheit haben sie es sich dennoch „schön“ gemacht und sagen sie hätten alles, was sie wirklich bräuchten hier im Zelt. Als wir das Zelt betreten sitzt eine alte Frau auf dem Boden von diesem Zelt, in dem man nicht einmal aufrecht stehen kann. Dieser Anblick macht mich traurig und ich schäme mich dafür, dass wir in diesen privaten Bereich eindringen.
Wir trinken Tee und besprechen das weitere Vorgehen. Wir verabreden uns für die folgende Woche und einigen uns darauf, uns auf Kinder und schwangerer Frauen zu konzentrieren. Die Krankenschwester berichtet mir, dass man sich bei den Verteilungen stets auf bestimmte Gruppen konzentrieren muss, so dass die Lage unter Kontrolle und übersichtlich bleibt. Für die Frauen besorgen wir Nahrungsergänzungsmittel für Schwangere, da die Schwester befürchtet, dass die ungeborenen Kinder durch die Unterversorgung der Mütter geschädigt werden können. Zudem möchten wir warme Kleidung für die bis zweijährigen Kinder bereitstellen. Ich lerne, dass die Frauen es mehr schätzen, wenn sie Stoffe bekommen, die sie selbst zu Kleidung der kleinen verarbeiten, da sie diese dann so anfertigen, dass sie mit dem Alter der Kinder mitwachsen können und somit länger brauchbar sind.
Die Verteilung erfolgt sehr ruhig und organisiert. Die Frauen schauen überwiegend bescheiden auf den Boden. Die wenigsten suchen den Blickkontakt zu mir. Ich versuche über den Zugang zu den Kindern das Eis zu brechen, was mir in vielen Fällen gelingt. Die Verteilung ist in weniger als einer Stunde beendet. Wir machen einige Gruppenbilder mit den Frauen und ihren Kindern und werden herzlich verabschiedet. An diesem Tag ist es nur ein kleiner Beitrag zu einer immer noch andauernden Katastrophe. Nachdenklich laufe ich nach der Verabschiedung alleine durch die Straßen bis nach Hause zu unserem Partner und Freund Samridha. Nach solchen Tagen fällt es mir abends schwer die schönen Seiten Nepals zu genießen. Ich grübele darüber, dass noch sehr viel zu tun ist und schlafe früh ein an diesem Abend ein.
Mehr Bilder zu diesem Projekt gibt es wie immer in unserer Galerie.